Die Wellen waren rau an diesem Morgen. An den beiden vorangegangenen Tagen hatten wir aufgrund eines heftigen Sturms keine Ausfahrten unternehmen können, und die See war noch immer aufgewühlt. Es war unsere letzte Chance, hinauszufahren, als plötzlich, keine zwei Meter links von unserem RIB-Boot, eine Gruppe Orcas aus den Wellen auftauchte. Zehn Minuten begleiteten sie uns – eine magische Begegnung, die ich allerdings nur mit halbem Bewusstsein wahrnahm. Stattdessen hing ich rechts über der Reling und stieß klagende Töne aus, die allenfalls mit viel Fantasie als Versuch der Kommunikation mit den Walen interpretiert werden konnten. Glücklicherweise hatten wir zuvor bereits spektakuläre Begegnungen erlebt, die auf unseren Kameras und in unseren Köpfen festgehalten wurden. Von diesen Momenten möchte ich euch im Folgenden erzählen.
Bereits im vergangenen November, als ich mit meinen Freunden Oliver Schwenn und Maximilian Uhl eine Multivisionsshow veranstaltete, zeigte Olli beeindruckende Bilder von Walen im Kvænangenfjord. Sofort wusste ich, dass ich diese Reise gemeinsam mit ihm machen wollte und buchte kurzerhand dieses Abenteuer. Der Termin im November 2024 rückte immer Näher. In den Wochen vor unserer Anreise erreichte uns die erfreuliche Nachricht, dass sich zahlreiche Wale im Fjord eingefunden hatten – ein Glücksfall, da sie in der Vergangenheit immer weiter nördlich gezogen waren.
Nach einem entspannten Flug landeten wir in Tromsø, wo Olli uns mit einer herzlichen Umarmung empfing. Das Wetter war wechselhaft gemeldet, doch es gab eine Chance auf klare Nächte und Polarlichter. Ohne Zeit zu verlieren, machten wir uns auf den Weg Richtung Norden. Vier Stunden später kamen wir in Storslett, nahe Skjervøy, an, bezogen unsere Unterkunft, und fuhren noch am selben Abend zu einem Polarlicht-Spot. Die „Lady Aurora“ zeigte sich zwar nur schwach, doch der Wetterbericht versprach mehr für die kommenden Nächte.
Der Wecker klingelte früh, und um sieben Uhr trafen wir uns beim Frühstück, bevor wir nach Skjervøy fuhren. Unser Anbieter „Whale to Sea“ hatte uns mit einem erfahrenen Kapitän, einer Walforscherin und einem RIB ausgestattet. Nach einer Sicherheitseinweisung wurden wir in wetterfeste Overalls eingekleidet und bereiteten unsere Kameras vor. Ich entschied mich für eine Nikon Z7II mit 70–200mm f/2.8 und eine Z6II mit 200–500mm f/5.6.
Kaum hatten wir den Hafen verlassen, erlebten wir etwas, das unsere Erwartungen weit übertraf. Eine Gruppe Finnwale tauchte vor uns auf! Schon von Weitem sahen wir ihre charakteristischen Blas – Wasser-Luft-Fontänen, die beim Ausatmen entstehen. Finnwale sind mit einer Länge von bis zu 24 Metern und einem Gewicht von 50–70 Tonnen die zweitgrößten Tiere der Erde, übertroffen nur vom Blauwal. Friedlich schwammen sie neben uns her, bevor sie langsam in die Tiefe abtauchten. Was für ein Erlebnis.
Kurz darauf entdeckte unser Kapitän eine Gruppe Orcas. Diese faszinierenden Raubtiere, auch als Killerwale bekannt, durchquerten den Fjord auf der Suche nach Heringen. Wir näherten uns respektvoll, ohne die Tiere zu stören. Zu unserer Überraschung änderten die Orcas jedoch ihre Route und kamen direkt auf uns zu. Zwei besonders neugierige Exemplare schwammen nur wenige Meter vom Boot entfernt.
Der Höhepunkt des Tages folgte wenig später, als eine Gruppe Buckelwale in der Nähe auftauchte. Diese Wale beeindrucken durch das charakteristische Heben ihrer Fluke beim Abtauchen. Ihre spektakulären Bewegungen bildeten den perfekten Abschluss eines unvergesslichen ersten Tages.
Nach den Ausfahrten, die durch das ständige Halten der schweren Teleobjektive durchaus anstrengend waren, kehrten wir erschöpft, aber glücklich in unser Hotel zurück. Mittags hatten wir immer etwas Zeit, um uns zu erholen und die Eindrücke des Tages sacken zu lassen. Es war Mitte November, und in diesen Breitengraden waren die Tage bereits deutlich kürzer – Tageslicht gab es nur etwa von 9 bis 14 Uhr.
Nach einem gemeinsamen Abendessen machten wir uns erneut auf, um die magischen Polarlichter zu jagen. Anfangs sah der Himmel wenig vielversprechend aus, dicke Wolken bedeckten fast alles. Doch plötzlich riss die Wolkendecke auf, und über uns funkelten Millionen Sterne. Nur Augenblicke später begann das faszinierende Schauspiel: Eine prächtige Corona aus gelb, rot und grün erleuchtete den Nachthimmel wie ein fließender Vorhang aus Licht.
Es war, als hätte die Natur selbst eine Geschichte zu erzählen. Zunächst nahm die Aurora die Form eines Phönix an, der majestätisch über uns schwebte. Dann zogen die leuchtenden Farben weiter in Richtung Horizont, wo sie sich malerisch im stillen Wasser des Meeres und einer kleinen Lagune dahinter spiegelten. Dieser Anblick ließ uns alle innehalten, sprachlos vor Staunen.
Auch diese Nacht wurde wieder eine kurze, doch niemand von uns hätte auf dieses Erlebnis verzichten wollen. Zu diesem Zeitpunkt ahnten wir noch nicht, dass dies unsere einzige Gelegenheit sein würde, die Nordlichter auf dieser Reise zu sehen – ein einzigartiger und unvergesslicher Moment, der uns tief berührte.
Am nächsten Morgen brachen wir erneut auf, voller Vorfreude auf weitere Begegnungen mit den faszinierenden Meeresriesen. Die See war ruhig, und als die Sonne langsam über den Horizont stieg, tauchte sie die Welt um uns herum in ein warmes, goldenes Licht. Der Blas der Orcas, der beim Ausatmen in die kühle Morgenluft aufstieg, glitzerte in den ersten Sonnenstrahlen wie ein flüchtiges Kunstwerk – ein wahrhaft magischer Anblick, der uns alle in seinen Bann zog.
Das absolute Highlight dieses Morgens war jedoch das Zusammenspiel von Orcas und Buckelwalen. Wir beobachteten gebannt, wie die Orcas mit ausgeklügelter Teamarbeit einen Heringsschwarm zusammentrieben, ein beeindruckendes Beispiel ihrer Intelligenz und Koordination. Die Buckelwale ließen sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Mit weit geöffnetem Maul schossen sie plötzlich aus der Tiefe empor und verschlangen -zum Leidwesen der Orcas- in einem einzigen, kraftvollen Zug eine große Menge der zusammengedrängten Fische.
Diese Szenerie war so beeindruckend, dass man die rohe Kraft und Eleganz dieser Tiere förmlich spüren konnte. Es war, als hätte sich ein Fenster zu einer anderen Welt geöffnet – einer Welt, in der die Natur noch völlig unberührt und voller Wunder ist.
In der folgenden Nacht machte uns - genau wie in den Nächten darauf - das schlechte Wetter leider einen Strich durch unsere Pläne, Aurora zu fotografieren.
Das war natürlich schade, das Plus an Schlaf nahmen wir natürlich trotzdem dankend an.
Am dritten Tag unserer Reise fasste ich einen Entschluss: ich wollte mich dieses Mal ganz auf Filmaufnahmen konzentrieren. Die Bedingungen schienen zunächst nicht besonders vielversprechend. Der Himmel war grau und von dichten Wolken bedeckt, die den Fjord in ein trübes Licht tauchten. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Die Wolkendecke brach plötzlich auf, und die gesamte Landschaft wurde in ein weiches, goldenes Licht getaucht.
Genau in diesem magischen Moment tauchte vor uns eine Gruppe Orcas auf. Sie bewegten sich mit beeindruckender Eleganz und scheinbar spielerischer Leichtigkeit durch das Wasser, direkt neben unserem Boot. Für ganze zehn Minuten begleiteten sie uns, so nah, dass man ihre markanten schwarz-weißen Körper in voller Pracht bewundern konnte.
Die Intensität dieser Begegnung war überwältigend. Während ich filmte, spürte ich, wie mir fast die Tränen in die Augen stiegen. Die Schönheit und die Nähe dieser Tiere in Verbindung mit dem strahlenden Licht und der Stille des Fjords waren so ergreifend, dass sie mir tief unter die Haut gingen. Es war einer jener seltenen Momente, die einen nachhaltig berühren und die man für immer im Herzen trägt.
Zwei Tage unserer Reise mussten wir aufgrund eines heftigen Sturms an Land verbringen. Der Wind peitschte über das Meer, und meterhohe Wellen machten es unmöglich, hinauszufahren. Doch auch diese erzwungene Pause hatte ihre positiven Seiten: Wir nutzten die Zeit, um unsere bisher entstandenen Aufnahmen zu sichten und zu bearbeiten. Zwischen der Arbeit an den Bildern tauschten wir Geschichten aus, wärmten uns bei heißen Getränken und genossen die Gelegenheit, uns ein wenig zu erholen.
Am letzten Tag unserer Reise bot sich schließlich noch einmal die Möglichkeit, aufs Meer hinauszufahren. Die Bedingungen waren alles andere als einfach – der Sturm hatte nachgelassen, doch das Meer blieb aufgewühlt, mit meterhohen Wellen, die unser kleines RIB-Boot auf und ab warfen. Während die anderen diese letzte Chance nutzten, um die Wale noch einmal hautnah zu erleben, musste ich mich dem unbarmherzigen Wellengang geschlagen geben. Statt mit der Kamera in der Hand hielt ich mich an der Reling fest, der ständige Auf und Ab forderte seinen Tribut.
Trotz allem war es für mich ein Moment, die Reise Revue passieren zu lassen. Ich wusste, dass die anderen an Bord die Begegnungen mit den majestätischen Walen genossen – das letzte Kapitel eines unvergesslichen Abenteuers. Auch wenn ich diesen letzten Ausflug nicht so genießen konnte wie erhofft, war ich erfüllt von den Erlebnissen der vergangenen Tage, die in mir noch lange nachhallen würden.
Ein ganz besonderer Teil dieser Reise, der sie so unvergesslich gemacht hat, war unsere fantastische Reisegruppe. Vom ersten Moment an herrschte eine herzliche und lockere Atmosphäre, die durch unseren gemeinsamen Enthusiasmus für Fotografie und Naturerlebnisse noch verstärkt wurde. Wir lachten zusammen, teilten unsere besten Aufnahmen und unterstützten uns gegenseitig.
Ein riesengroßer Dank gebührt vor allem Olli, der nicht nur als Reiseleiter, sondern vor allem als Freund und unermüdlicher Organisator diese Reise so perfekt gemacht hat. Seine Erfahrung, Leidenschaft und Liebe zur Natur waren der Schlüssel zu diesem Abenteuer. Olli kümmerte sich um jedes Detail – von der Planung der Ausfahrten über die Auswahl der besten Spots bis hin zu seiner Geduld, wenn das Wetter uns herausforderte. Sein Wissen über die Wale und die Region sowie seine Fähigkeit, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, machten jede Begegnung mit den Tieren zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Für alle, die die Möglichkeit haben, eine solche Reise mit Olli zu unternehmen: Nutzt sie! Diese Erfahrung ist nicht nur eine Reise, sondern ein Eintauchen in eine Welt voller Wunder, Inspiration und einzigartiger Momente, die lange in Erinnerung bleiben. Olli hat die Gabe, Menschen nicht nur zu begleiten, sondern sie mit seiner Begeisterung und Leidenschaft anzustecken, und dafür bin ich ihm von Herzen dankbar. https://www.arcticpictures.de/
Dieses Abenteuer reiht sich nun also in die wachsende Liste unserer gemeinsamen Erlebnisse ein – und was für ein Kapitel es geworden ist! Was Olli und ich bereits zusammen erlebt haben, ist schier unfassbar und liest sich wie ein Sammelband der außergewöhnlichsten Geschichten. Von unserem eindrucksvollen Besuch in der abgeschiedenen und spirituellen Mönchsrepublik Athos, über die faszinierende Suche nach Biolumineszenz an den Küsten Dänemarks bis hin zu unserem atemberaubenden „Adventure of a Lifetime“ am aktiven Vulkan Fagradalsfjall in Island – jedes dieser Erlebnisse ist einzigartig und unvergesslich.
Unsere Freundschaft ist dabei das Herzstück all dieser Abenteuer. Sie hat uns durch extreme Wetterbedingungen, zähe Wanderungen und manchmal auch durch stundenlange Autofahrten begleitet. Sie ist reich an Momenten des Staunens, des Lachens und des gegenseitigen Anfeuerns, wenn die Natur uns herausforderte. In den wenigen Jahren, die wir bereits miteinander unterwegs sind, haben wir Geschichten gesammelt, die mehr zu erzählen haben als so manches Buch.
Und dennoch bin ich mir sicher: Das Beste liegt vielleicht noch vor uns. Abenteuer wie dieses zeigen, dass es keine Grenzen gibt, wenn man mit einem Freund unterwegs ist, der die gleiche Begeisterung für die Wunder der Welt teilt. Ich bin unendlich dankbar für diese Erlebnisse und freue mich darauf, unsere Sammlung an Geschichten weiter zu füllen – eine Reise, ein Abenteuer, eine Freundschaft.
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Birgit (Montag, 18 November 2024 17:54)
Lieber Yannick, das ist ein sehr beeindruckender Reisebericht . Das Video dazu gigantisch.
Ich freu mich auf weitere Bilder ……
Frank (Dienstag, 19 November 2024 13:03)
Hallo Yannick, was für ein toller Bericht!
Das Ganze wird noch eindringlicher, wenn man es schon einmal erlebt hat, im Positiven und leider auch im Negativen... ;-) Das mit dem Auf- und Ab und Hin und Her in alle Richtungen kenne ich leider auch aus Erfahrung und das wird nicht besser, wenn man ständig durch die Kamera schaut, weil man die unglaublichen Szenen, die sich vor der Nase abspielen unbedingt festhalten möchte. Reisetabletten haben mir aber gut geholfen.
Du hast Recht, so eine Reise mit Olli ist absolut empfehlenswert und eine Aneinanderreihung grandioser fotografischer Ausnahmemomente. Alle, die sein unglaubliches Engagement dabei und das resultierende "Rundum-Sorglos-Fotopaket" zu schätzen wissen, sollten das unbedingt einmal machen!
Danke fürs Teilen!
Frank
Nora (Dienstag, 19 November 2024 13:15)
Fantastische, ergreifende Bilder und ein wunderschöner Bericht dazu!